Das Straßenboßeln

Genau wie das Klootschießen ist das Straßenboßeln in der Technik mit einer leichtathletischen Wurfdisziplin zu vergleichen, wobei die Technik jedoch leichter zu erlernen ist als beim Klootschießen. Die Anlauflänge beträgt bis ca. 20 Meter. Es handelt sich dabei um einen langsamen Steigerungslauf, der locker und rhythmisch erfolgt. Die Absprungvorbereitungsphase beginnt mit dem Anpendeln des Wurfarmes. Der gestreckte Wurfarm wird einmal leicht nach vorne und dann mit einer weiten Auslage nach hinten zurückgenommen. Dies geschieht im Moment des Absprungs. Der Abwurf wird durch den Einsatz des Stemmbeines (der lediglich der Kraftübertragung und nicht dem Abbremsen der Anlaufgeschwindigkeit dient) und mit dem Wurfarm ausgeführt, der mit größtmöglichem Kraftaufwand nach vorne schnellen muss. Die Anlaufgeschwindigkeit muss fließend in den Abwurf übergehen, um die größtmögliche Weite zu erreichen.

Straßenboßeln wird durchgeführt als Stand- oder Streckenwerfen und kann als Einzel- oder Mannschaftswerfen veranstaltet werden. Beim Streckenwerfen gilt es, die gesamte Wurfstrecke mit einer möglichst geringen Anzahl von Würfen zu durchwerfen. Hier muss sich der Boßler bei jedem Wurf erneut auf die Beschaffenheit der Straße einstellen und unter den verschiedenen Wurfvarianten die richtige auswählen, um die optimale Weite zu erzielen. Beim Standwerfen hat jeder Teilnehmer eine bestimmte Anzahl von Würfen auf einer vorher festgelegten Wurfbahn von der gleichen AbwurfsteIle. Hierdurch entfällt die oben genannte Schwierigkeit, sich jeder Straßenlage durch die Auswahl der optimalen Wurfvariante anzupassen. Als Wurfstrecken werden vornehmlich öffentliche Straßen benutzt, für deren Nutzung als Wurfstrecke jeweils eine behördliche Genehmigung vorliegen muss. Geworfen wird heute nahezu ausschließlich mit Kunststoffkugeln (je nach Altersklasse bis 12 cm Durchmesser) und mit Gummikugeln (je nach Altersklasse bis 10,5 cm Durchmesser).

Wichtig beim Boßeln ist es, die Beschaffenheit der Straße zu erkennen. Um eine große Weite erzielen zu können, sollte der Werfer wissen, wie stark das Seitengefälle der Wurfstrecke ist, ob Spurrillen vorhanden sind, ob Bermen als Bande für die Boßelkugel eingesetzt werden können oder ob andere natürliche Streckeneigenschaften zu bewältigen sind. Hierzu hat jede Mannschaft einen fachkundigen Bahnweiser. Der Boßler unterscheidet das Werfen „över de lüttje Finger“, „över de Duum“ (Daumen) und „liek ut de Hand“ (gerade aus der Hand).

1. Abwurf über den Daumen (övert Dum) Hat die Straße ein Gefälle von rechts nach links in Wurfrichtung, erfolgt der Anlauf auf der linken Straßenseite. Beim Anlauf dreht der Werfer die Wurfhand nach außen, die Kugel verlässt über den Daumen die Hand und erhält dadurch einen Rechtsdrall.

2. Abwurf über den kleinen Finger (övert Finger)Hat die Straße ein Gefälle von links nach rechts, dreht der Werfer (Rechtshänder) beim Abwurf die Wurfhand nach innen, so dass die Boßelkugel über den kleinen Finger die Hand verlässt. Die Kugel bekommt so einen Linksdrall. 

3. Abwurf aus der Hand ohne Effet (liek ut Hand) Bei einer Straße ohne Gefälle oder dann, wenn trotz Gefälle die Straße in der Mitte ausgefahren ist und eine Spurrille aufweist, wird aus der geraden Hand geworfen.

Hier wird deutlich, dass die Leistungsstärke eines Boßlers nicht nur aus seiner Wurfkraft resultiert, sondern in hohem Maße auch in der Fähigkeit liegt, durch verschiedene Wurfvarianten die unterschiedliche Straßen- und Kurvenführung optimal für sich zu nutzen. In Kurven wirft man gefühlvoll, nicht so kraftvoll wie auf geraden Strecken, damit die Boßel nicht aus der Bahn getragen wird, sondern möglichst lange dem Verlauf der Kurve folgt. Aufgrund der leichter zu erlernenden Grundtechnik ist das Boßeln für jedermann zugänglich, bietet jedoch durch seine vielfältigen Wurfvarianten gleichermaßen einen Anreiz für leistungsorientierte Spitzensportler. Der Boßelsport hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte über die alten Verbreitungsgebiete hinaus zum Volkssport Nr. 1 im Weser-Ems-Gebiet entwickelt. Die unkomplizierte Technik erlaubt auch ungeübten Werfern aller Altersklassen den Boßelsport auszuüben. Um 1900 wurde die Boßelkugel, der Kloot, aus dem harten Wurzelholz der Weißbuche gedrechselt. Es folgte eine Zeit, in der der Kloot fast ausnahmslos aus dem sehr widerstandsfähigen und sehr harten Pockholz gefertigt wurde. Aus ganz unterschiedlichen Gründen kommen inzwischen seit Jahren neben den Gummikugeln nur noch Boßelkugeln aus Kunststoff zum Einsatz. Eine Boßelkugel kostet heute zwischen 40 und 60 €.